12.12.2019, ergänzt am 13.12.2019
Chance für klimaneutralen öffentlichen Nahverkehr
Es gibt viele gute Argumente für elektrisch betriebene Busse im öffentlichen Nahverkehr – und mindestens ebenso viele Bedenken gegen deren Einsatz. Wie sehen die Erfahrungen aus den Städten aus, die bereits über praktische Erfahrungen verfügen? Und was ist bei der Umstellung auf E‑Busse zu beachten?
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), in dem Unternehmen des Öffentlichen Personenverkehrs organisiert sind, spricht von 315 im deutschen Nahverkehr eingesetzten Elektrobussen und 750 weiteren bestellten batterieelektrisch betriebenen Bussen. In Baden-Württemberg befinden sich unter den „Pionier-Städten“ Aalen, Rottweil, Reutlingen, Öhringen, Mannheim/Heidelberg und Schwäbisch Hall.
Die Pioniere unter den Kommunen, die bereits E‑Busse im Einsatz haben, werden nicht mehr lange unter sich bleiben. Der Druck wächst, mehr für eine saubere Luft in den Städten und für den Klimaschutz zu tun. Die EU will Fortschritte sehen. Ab August 2021 müssen 22,5 Prozent der neu angeschafften Busse batterieelektrisch, mit Wasserstoff oder mit Strom aus der Oberleitung angerieben werden.
Den Weg mit der Oberleitung geht in Baden-Württemberg bisher nur die Stadt Esslingen. Die Stadt, die über 75 Jahre Erfahrung mit O‑Bussen verfügt, wird ihr Oberleitungsnetz in den nächsten Jahren in drei Stufen massiv auf dann 32,6 Kilometer ausweiten. Bis spätestens 2024 will die Stadt die Busflotte ihres Verkehrsbetriebes komplett elektrisch antreiben. Jährlich sollen dann 1,9 Millionen Kilometer mit Strom aus der Oberleitung bzw. aus dem Akku gefahren werden. Eingesetzt werden Elektrohybridbusse, die außerhalb des Oberleitungsnetzes mit Strom aus den Akkus weiterfahren können. Dadurch wird der Aktionsradius der Busse größer und der Einsatz der Fahrzeuge flexibler. Allerdings sollen einige Dieselbusse als Reserve vorgehalten werden.
Rein batterieelektrische Busse sind in der Anschaffung etwa doppelt so teuer wie Dieselbusse. Hinzu kommt die notwendige Ladeinfrastruktur. Damit könnten die Kosten auf das Dreifache kommen, rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) vor. Auf der anderen Seite gibt es eine Förderung durch den Bund (Bundesumweltministerium), die 80 Prozent der Mehrkosten für die Busse abdeckt. Das Bundesverkehrsministerium hat ein eigenes Förderprogramm aufgelegt, mit dem 40 Prozent der Mehrkosten für das Fahrzeug bezuschusst werden (Zuschuss unter bestimmten Voraussetzungen höher). Förderfähig im gleichen Verhältnis (also mit bis zu 80 Prozent) sind auch die Gesamtkosten für die Ladeinfrastruktur. Die Förderanträge werden durch die Verkehrsunternehmen gestellt. Neben der Unterstützung durch den Bund gibt es auch eine EU-Förderung von E‑Bussen, die in Kombination mit den Bundesprogrammen zu einer noch höheren Förderquote führen kann. Für EU-Gelder müssen allerdings die Länder als Antragsteller auftreten. Im Laufe des Jahres 2020 könnten sich die Förderkulissen vor dem Hintergrund der Klimadiskussionen ändern. Zur Reichweite: Der VDV sieht momentan rund 40 Prozent der städtischen Linien problemlos mit E‑Bussen abdeckbar (ohne Nachladen während des Tages). Ab 2021, so seine Prognose, lassen sich 60 Prozent der städtischen Linien mit einer Akkuladung bedienen.
Der Markt für E‑Busse war viele Jahre sehr übersichtlich. Insbesondere die deutschen und europäischen Hersteller taten sich lange schwer. Busse von Sileo aus Salzgitter https://www.matthias-gastel.de/besuch-beim-e-bus-hersteller-sileo/ und Solaris aus Polen sind schon einige Jahre auf den Straßen unterwegs. Die Daimler-Tochter Evobus stieß vor einigen Monaten hinzu https://www.matthias-gastel.de/endlich-mehr-e-busse-aus-deutschland/ und MAN plant den Markteintritt in Sachen E‑Busse voraussichtlich im Jahr 2020 aufzunehmen. Von Iveco sind bereits 300 E‑Busse europaweit im Einsatz. Diese haben auf der Versuchsstrecke eine Reichweite von 600 Kilometer geschafft. Unter ungünstigen Voraussetzungen im Realbetrieb (elektrisches Heizen im Winter) schrumpft diese auf 170 bis 240 Kilometer zusammen. Dies dürfte ausreichend sein für das Streckenprofil von 40 bis 50 Prozent der Buslinien. Nachdenklich stimmen sollte die Aussage, wonach nahezu alle Geschäfte mit Antriebsalternativen nachfragebedingt im Ausland gemacht werden. Bei der Lieferung von Batterien sieht das Unternehmen einen Engpass und damit eine Restriktion für die kurzfristige, deutliche Ausweitung des Angebots an batterieelektrischen Bussen. Im Angebot sind auch Oberleitungsbusse. Iveco hat solche für Bologna gebaut. Wie sieht es aktuell mit Evobus aus? Im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Daimler-Tochter sprach dieser von einer gut dreistelligen Anzahl an E‑Bussen, die inzwischen in 15 bis 20 Städten ihren Dienst verrichten. Größere Stückzahlen haben Hamburg, Berlin und Wiesbaden geordert. Auch von Evobus wird darauf hingewiesen, dass beim E‑Bus „im System gedacht“ werden muss: Netz, Ladeinfrastruktur, Fahrzeug, Betriebshofmanagement und Schulungsbedarfe müssten zusammen gedacht werden. Die Infrastrukturseite müsse schon vor der Beschaffung der Fahrzeuge geklärt werden. Von der Kundenseite gebe es positive Rückmeldungen zu den Bussen. Die Busgeneration, die ab Ende 2020 ausgeliefert werden könnte würde mit ihrer Reichweite für etwa 70 Prozent der Linienverkehre ausreichen. Diese sei dann mit Feststoffbatterien ausgestattet, die zwar länger zum Laden bräuchten, dafür aber leistungsfähiger und langlebiger seien. Ab 2022 stünden Busse mit „Range Extender“ in Form von Brennstoffzellen zur zusätzlichen Reichweitenverlängerung zur Verfügung. Damit könnten nahezu alle Buslinien des Nahverkehrs gefahren werden. Evobus bietet auch Erdgas- und Hybridbusse an.
Chinesische Busse sind auf Deutschlands Straßen noch selten anzutreffen. In München sind testweise drei Leihbusse des niederländischen Unternehmens „Ebusco“, der in China produzieren lässt, im Einsatz und fahren lt. VDV gut. Für Bochum und einige Nachbarstädte wurden 22 Busse des chinesischen Herstellers BXD bestellt. Die meisten davon sollen über Stromabnehmer auf dem Dach geladen werden. Die Reichweite wird mit 200 Kilometer angegeben. Das Fernbusunternehmen Flixbus setzt einen BYD-Bus zwischen Frankfurt und Mannheim ein. Nähere Infos hier: https://www.matthias-gastel.de/e‑bus-im-fernverkehr/
Busunternehmen sind bezüglich des Einsatzes von E‑Bussen überwiegend skeptisch. Dies wurde jüngst bei einer Fachtagung des „Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer“ (WBO) unter dem Motto „Mit Elektro-Bussen die Welt retten – Geht das so einfach?“ in Heilbronn deutlich. Als Hindernisse werden vor allem die hohen Anschaffungskosten und der Aufwand für den Aufbau einer Ladeinfrastruktur gesehen. Auch Reichweitenzweifel wurden deutlich.
Bei oben erwähnter Fachtagung wurde von Praktikern geraten, Busunternehmen sollten sich frühzeitig mit ihren Netzbetreibern in Verbindung setzen, damit diese das Netz auf ihre Kapazität prüfen und ggf. zusätzliche Kabel verlegen können.
Erfahrungen weiterer deutscher Städte mit E‑Bussen
Die Bundeshauptstadt Berlin hat bereits eine längere Erfahrung in der Erprobung von E‑Bussen. 2015/2016 waren vier induktiv ladende Solaris-Busse im Einsatz, die jedoch durch hohe Ausfallquoten aufgefallen waren. Aktuell befinden sich in der Berliner Busflotte 31 Stromer (12 Meter lange Eindecker), von denen 16 von Solaris und 15 von Daimler stammen. Sie legen mit einer Batterieladung etwa 150 Kilometer zurück. Diese Reichweite genügt nur für wenige Linien am Stadtrand oder für Verstärkerlinien zu Spitzenzeiten. Busse auf “normalen” Linien fahren zwischen 250 und 450 km am Tag. Da die Linienverläufe überwiegend größere Reichweitere erfordern, müssen die Fahrzeuge tagsüber zwischengeladen werden. Bestellt wurden außerdem 17 größere Gelenkbusse, die von Solaris geliefert werden und 900.000 Euro kosten werden. Geladen werden sollen diese zukünftigen Busse mittels Pantographen. Der Fuhrpark könnte darüber hinaus mit Hybrid-O-Bussen noch bunter werden. Berlin möchte bis 2030 komplett auf fossilfreie Antriebe umgestellt haben. Da man aber nicht sicher ist, ob die technologische Entwicklung dies ermöglicht, wurden 950 Dieselbusse vorbestellt, die nach Bedarf abgerufen werden können.
Öhringen (Hohelohekreis) hat fünf E‑Busse im Einsatz. Vier Busse stammen von „ebe Europa“, einem Unternehmen aus Memmingen, das gemeinsam mit zahlreichen Partnern elektrische Busse baut. Die Buschassis beispielsweise werden von einem polnischen Bushersteller gebaut. Die Busse sind seit der Landesgartenschau im Jahr 2016 im Einsatz. Die Linienverläufe und Umlaufplanungen wurden auf die Busse zugeschnitten. Geheizt wird mit fossil betriebenen Heizung. Die Akkuleistung lässt nach mehreren Betriebsjahren nach. Die Busse werden als „eher unzuverlässig“ beschrieben und sind schon mehrfach liegen geblieben. Einer der vier Busse steht seit einigen Monaten in der Werkstatt. Mit dem fünften Bus, der vom Hersteller Sileo stammt, werden gute Erfahrungen gemacht. Die Fahrer äußern sich positiv.
In Heidelberg sind seit Januar 2019 drei eCitaro von Evobus/Daimler im Einsatz. Die Reichweite (Herstellerangabe: 200 Kilometer) reicht nicht für einen Betriebstag. Zum Schichtwechsel muss der Bus gewechselt werden. In Rottweil rollt seit Juli ein Elektrobus von Iveco auf einer 198 Kilometer langen Tour. Der Hersteller gibt die Reichweite seiner Busse mit 354 Kilometer an. Am Ende eines Betriebstages weist der Akku noch einen Ladestand von 38 Prozent aus, so dass der Betreiber auch für den Winter mit rein elektrischer Heizung keine Probleme sieht. Ausfälle gab es noch keine. Allerdings wird jeder zweite Ladevorgang durch eine Störung unterbrochen. Den Anschaffungspreis von 500.000 Euro soll der Bus durch niedrigere Betriebskosten nach acht Jahren eingespielt haben. Für die Ladeinfrastruktur wurden 38.000 Euro investiert. Von Fahrgästen gab es positive Rückmeldungen.
In Lahr wird der autonome Kleinbus von „easy.mile“ eingesetzt. Er verfügt jedoch nur über eine geringe Platzkapazität und wird nicht auf normalen Linien betrieben.
Quellen (unvollständig): Staatsanzeiger Baden-Württemberg v. 22.11.2019, Esslinger Zeitung v. 29.11.2019; telefonische Gespräche mit mehreren Städten, Werksbesuch bei Magirus/Iveco in Ulm, www.vdv.de, Telefonate mit VDV und Evobus, https://www.bogestra.de/news-liste/news/article/gruen-auf-ganzer-linie-bogestra-und-hcr-kaufen-elektrobusse.html und https://urban-transport-magazine.com/erster-byd-e-bus-auftrag-in-deutschland-fuer-bochum-und-herne-castrop-rauxel/ sowie https://www.muenchen.de/aktuell/2019–03/elektrobus-linie-100.html