In der zweiten Dezemberwoche war ich in Summe über vier Stunden zur „Sprechstunde vor Ort“ an den Bahnhöfen in Nürtingen, Echterdingen und Filderstadt. Dort habe ich die Leute aktiv angesprochen und mein Bilanzflyer verteilt. Die Stimmung empfand ich als „neutral“. Es gab so wenig Lob wie Kritik. Ein junger Mann im Pulk vieler Schüler*innen rief meinem Helfer zu „Die Grünen wähle ich nicht.“ Dann sah er mich stehen, lief auf mich zu und sagte mir: „Vielleicht erinnern Sie sich, ich war mit auf einer Ihrer Bildungsfahrten in Berlin. Ich wähle eine der Kleinparteien. Vielleicht aber doch grün.“ Ein Mann rief mir im schnellen Vorbeigehen laut zu: „Sie wähle ich bestimmt nicht.“ Kurze Zeit später lehnte eine Frau die Annahme des Flyers ab, um wenige Meter später umzukehren und zu sagen: „Ich hatte Sie gar nicht gleich erkannt. Gerne nehme ich die Info mit.“ Eine Frau schimpfte über „Die in Berlin“, die alle „abgesägt gehören“. Sie suchte nach Namen und kam auf „Habock“. Alles sei schlecht. Auf meine Frage, was sie konkret meint, fiel ihr kein Beispiel ein.
Im Januar war ich in Leinfelden und Echterdingen sowie – hier am längsten – in Bernhausen an Infoständen. In Bernhausen konnte ich sehr viele Gespräche führen, meist mit positiver Resonanz. Mir fiel einmal mehr auf: Wo man am bekanntesten ist, gibt es den größten Zuspruch. Vermutlich ist dies dadurch begründet, dass (grüne) Politik mit einem vertrauten Gesicht verbunden wird und weniger fern wirkt. Das schafft Vertrauen. Eine Woche später in Nürtingen und Kirchheim gab es wieder sehr viele Gespräche. In Nürtingen war ich so intensiv in Gespräche vertieft, dass ich es versäumte, rechtzeitig nach Kirchheim weiterzufahren. Ein Mann, der sich weder auf Gespräch noch Flyer einlassen wollte, kam später wieder und entschuldigte sich. Er wolle ja die Grünen wählen, sei sich aber noch unsicher und hätte Fragen. Ein Mann konterte meine Ansprache mit „Dass Ihr Euch hier überhaupt her traute“. Zwei andere riefen in drohendem Tonfall: „Ihr habt alles kaputt gemacht!“ Doch unter allen Rückmeldungen überwog der Zuspruch und das Interesse. Drei Schüler, die mit dem Hinweis, sie seien noch nicht Volljährig, erst vorbeiliefen und dann prompt umkehrten, wollten von mir wissen, was ich mache. Daraus entstand ein interessantes Gespräch über (un)pünktliche Züge. Am häufigsten spielte das „Thema der Woche“, Friedrich Merzens Anträge, die er zur Abstimmung brachte, obwohl er wusste, dass er sich damit von der AfD abhängig machte, eine Rolle. Dies beschäftigte die Leute und viele äußerten Angst vor steigendem Einfluss der AfD. Eine Frau wollte meine Einschätzung hören, ob man eher mit der Wahl von SPD oder von Grünen einen Bundeskanzler Merz verhindern könne. Ein Mann, der sich als promovierten Naturwissenschaftler und Naturschützer vorstellte, kritisierte die Umweltpolitik der Grünen als „zu lasch“. Ich brachte zahlreiche positive Erfolge vor. Nach etwas längerem Gespräch schien er nicht ganz überzeugt zu sein, verabschiedete sich aber mit den Worten „Ich gehe nun mit einigen neuen Erkenntnissen weiter.“ Ein älteres Paar kam mit heftiger Kritik an der Politik, weil man sich dort nur streiten würde. Ich verwies darauf, dass Streit der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Positionen dient. So wissen die Menschen viel eher, welche Partei wofür steht. Wir wurden uns einig, dass es nicht um die Vermeidung des Streits gehen kann, sondern um das zivilisierte Austragen des Streits gehen muss.
Anfang Februar begann die heiße Wahlkampfphase. In Kirchheim stand ich vor dem Rathaus und sprach aktiv Leute an. Ein junger E‑Auto-Fahrer beklagte sich über die starken Preisunterschiede beim Laden. Das Bürgergeld beschäftigte einen Lehrer, der Fehlanreize sah, dass Menschen weniger oder nicht arbeiten, da der Abstand zu manchen Erwerbseinkommen zu gering sei. Manchmal bekam ich Kritik an der Wirtschaftspolitik von Robert Habeck zu hören. Zugleich gab es viel Zuspruch: Leute, die mir sagten, sie würden mich bzw. die Grünen wählen und fänden Habeck klasse. In Nürtingen sagten mir einige Leute auf dem Wochenmarkt, sie hätten bereits Briefwahl gemacht. Ein älterer Herr wollte mich vom Sinn der Atomkraft überzeugen und ich verwies auf das ungelöste Entsorgungsproblem und darauf, dass kein Energieversorger wieder in die Atomkraft einsteigen möchte. Ein weiterer älterer Herr gesellte sich dazu und unterstützte meine Argumentation. Im Laufe der Diskussion stellte sich heraus, dass der Atomkraftbefürworter bis zu seinem Renteneintritt in einem AKW gearbeitet hatte. Drei Leute einer lokalen Klimagruppe kamen auf mich zu und stellten vorbereitete Fragen, die ich selbstverständlich gerne beantwortete. Auch in Nürtingen riefen Leute im Vorbeilaufen „Euch kann man nicht wählen“ oder „Ihr macht alles kaputt“. In den meisten Fällen versuchte ich, ins Gespräch zu kommen. Einer blieb stehen und wusste auf meine Frage, was wir denn kaputt machen würden, zunächst keine Antwort. Ich fragte ihn erneut, bis dann lediglich das Stichwort „Wirtschaft“ fiel. Mehr war aus dem Herrn nicht herauszubekommen. Unter denen, die stehen blieben wie auch unter denen, die vorbeiliefen, gab es auch hier viel Zuspruch („Meine Stimme habt Ihr“). Nach den Gesprächen auf dem Wochenmarkt hatte ich ins Café geladen. Dort kam eine Dame, eine Marktbeschickerin, kurz vorbei und brachte eine Anregung zur Finanzierung des Deutschlandtickets vor. Später mache ich Hausbesuche in Nürtingen. Meist schien niemand zuhause zu sein. Ich meldete mich an den Sprechanlagen mit „Hier ist Matthias Gastel, Ihr Bundestagsabgeordneter. Vielleicht haben Sie Fragen oder Anregungen? Ich nehme diese gerne entgegen.“ Oft kam zur Antwort, dass man keine Zeit habe, gleich das Haus verlassen wolle oder Besuch habe. Einige Gespräche kamen aber in Treppenhäusern, an Haustüren oder hinauf zum geöffneten Fenster zustande. Eine 93-Jähige outete sich als Grünen-Wählerin, wünschte sich aber eine etwas restriktivere Flüchtlingspolitik und noch mehr Engagement für die Umwelt. Später trafen wir die Dame noch auf der Straße und sie sprach noch den Klimaschutz an, für den mehr getan werden müsste. Zwei Leute erklärten uns über die Sprechanlage, die Grünen seien so gar nicht ihre Partei. Ein längeres Gespräch entwickelte sich mit einem pensionierten Lehrer. Seiner Meinung nach müsste der Flüchtlingszuzug stärker begrenzt werden und er bezweifelte den Sinn der doppelten Staatsangehörigkeit. Ein anderer Herr, der aus dem Fenster heraus sprach, wirkte ganz so, als habe er mit dem Hausbesuch eines Abgeordneten gerechnet. Er hielt einen kleinen Vortrag über die Fehler des Robert Habeck und wie bedauerlich diese wären, sei er doch der beste aller Kandidaten und könne sowohl im eigenen Land wie auch international viel erreichen.
Ergänzend möchte ich noch anfügen, dass mich täglich sehr viele Mails von Bürgerinnen und Bürgern erreichen. Sehr viele davon beantworte ich selber (die anderen werden durch mein Team bearbeitet). Seit Wochen gibt es Mailkampagnen für mehr Klimaschutz und die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Bei der Flüchtlingspolitik gibt es mal die Aufforderung, die Flüchtlingszahlen stärker zu reduzieren und mal Kritik an einer zu restriktiven Vorgehensweise. Hier wie bei anderen Themen auch prallen sehr unterschiedliche Erwartungen an die Politik aufeinander. Sehr viele Mails erreichen mich zu meinem Schwerpunktthema, der Verkehrs- und insbesondere der Bahnpolitik.
Ich bin keineswegs nur in Wahlkampfzeiten unterwegs, um den Dialog zu suchen. So war ich beispielsweise zur “Halbzeit” der Koalition zu intensiven Gesprächen unterwegs. Siehe https://www.matthias-gastel.de/sprechstunden-vor-ort-bei-den-leuten/