Ich habe mir schon viele Stellwerke unterschiedlichster Bauarten zeigen lassen. Jetzt war ich im Stellwerk Nürtingen. Es handelt sich um ein Relaisstellwerk des Herstellers Siemens aus dem Jahr 1975. In Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertreterinnen der DB InfraGO AG, darunter zwei Fahrdienstleiterinnen, ging es neben dem Stellwerk auch um die Tücken der Strecke zwischen Stuttgart und Tübingen.
Das Stellwerk gilt als einfach und übersichtlich, da von hier ausschließlich die Signale und Weichen im Bahnhofsbereich inklusive eines kurzen Stücks der Tälesbahn gesteuert werden. Daher dient das Stellwerk häufig auch Ausbildungszwecken. 19 Beschäftigte dürfen das Stellwerk bedienen, die alle jedoch auch in weiteren Stellwerken, beispielsweise in Wendlingen und Metzingen, zum Einsatz kommen („Viele wollen die Abwechslung“). Dabei ist Personalmangel hier zum Glück kein Problem. Dabei ist das Stellwerk rund um die Uhr besetzt, es ist also immer eine Person anwesend. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-Betrieb.
Obwohl das Stellwerk älteren Semesters ist, kommt es glücklicherweise kaum zu Ausfällen. Von bei vielen älteren Relaisstellwerken auftretender Aderisolationssprödung (bröckelnder Kabelisolation) ist das Nürtinger Stellwerk bisher verschont. Ersatzteile sind vorhanden, zumal der Stellwerkstyp in der Region vielfach vorkommt. Dank des modularen Aufbaus der Stellwerke lassen sich defekte Bauteile unnd Baugruppen einfach austauschen. Mit dem Digitalen Knoten Stuttgart werden einige ältere Stellwerke aufgegeben, wodurch sich die Ersatzteilsituation weiter verbessert. Nürtingen liegt allerdings außerhalb des digitalen Knotens (Wendlingen stellt die Grenze dar und wird Teil des digitalen Knotens). Deshalb dürfte das Stellwerk Nürtingen noch länger in Betrieb bleiben. Eine wesentliche Veränderung wird aber auch auf Nürtingen zukommen: Mit der Verlängerung der S‑Bahn bis nach Nürtingen muss das Stellwerk umgebaut, nicht aber neu gebaut werden. Die S‑Bahn bekommt gemeinsam mit der Tälesbahn einen neuen Bahnsteig. Dieser wird zudem mit zusätzlichen Signalen ausgestatten, damit S‑Bahn und Tälesbahn auf dem gleichen Gleis an dem neuen Bahnsteig halten können. Allerdings werden die Züge der S- und Tälesbahn nur mit 40 Stundenkilometer in den Bahnhof einfahren können.
Die Probleme der Strecke
An dem Tag, an dem ich im Stellwerk war, gab es an der Strecke Richtung Metzingen Bauarbeiten an den Bahnsteigen in Bempflingen, wodurch zwischen Nürtingen und Metzingen nur ein Streckengleis für den Betrieb zur Verfügung stand. Weil es in diese Richtung in Fahrtrichtung Reutlingen/Tübingen keine Weichenverbindung zwischen Gleis 1 und 2 mehr gibt, stand auch Gleis 1 des Nürtinger Bahnhofs nicht für Fahrten in Richtung Metzingen zur Verfügung. Dort hatte es eine Weiche gegeben, die jedoch im Rahmen früherer Sparmaßnahmen abgebaut wurde. Dieses Kaputtsparen hat sich gerade während der erwähnten Baumaßnahmen in Form massiver Verspätungen gerächt, da entgegenkommende Züge sich nur in den Bahnhöfen Nürtingen (dort nur an Gleis 2 und 3) und Metzingen, nicht aber auf freier Strecke, begegnen konnten. Da durch die Eingleisigkeit die Streckenkapazität massiv eingeschränkt wird, schaukelten sich die Verspätungen massiv in die Höhe, sobald ein Zug eine Verspätung einschleppt.
Weichen und Signale wurden vor vielen Jahren auch in Bempflingen herausgerissen und Bempflingen als Bahnhof aufgelassen. Das bedeutet, dass erst wenn ein vorausfahrender Zug in Metzingen angekommen ist, ein folgender Zug in Nürtingen losfahren kann. Zudem kann zwischen den beiden Stationen das Gleis nicht mehr gewechelt werden. Somit ist die Strecke insgesamt trotz hoher Belastung aufgrund sehr langer Blockabschnitte nicht flexibel genug nutzbar. Ein Gleiswechselbetrieb, also die Möglichkeit, auch im „falschen“ Gleis zu fahren, ist zwar möglich (von dieser Möglichkeit wurde auch im Rahmen des eingleisigen Betriebs während der erwähnten Bauarbeiten Gebrauch gemacht), es muss dann aber dank der ausgebauten Weichen der gesamte Abschnitt zwischen Nürtingen und Metzingen auf dem Gegengleis gefahren werden. In dieser Zeit kann dann kein entgegenkommender Zug das Gleis befahren, was den Verkehr aus der Gegenrichtung und damit die Kapazität erheblich einschränkt.
Ein kleiner Lichtblick ist die Tatsache, dass gerade im Rahmen der erwähnten Bauarbeiten zwischen Nürtingen und Metzingen auch der insgesamt acht Kilometer langer Blockabschnitt in drei Streckenblöcke unterteilt wird. Dort, wo bisher nur ein Zug fahren konnte, werden zukünftig bis zu drei Züge fahren können. Die höhere Zugfolge, die dadurch ermöglicht wird, erlaubt eine höhere betriebliche Flexibilität und Kapazität der Strecke.
Exkurs: Anschlusssicherung
In Nürtingen wird von Fahrgästen immer wieder bemängelt, dass sie Anschlüsse verpassen. Ein Beispiel ist der Umstieg von der Tälesbahn in die Regionalzüge nach Stuttgart oder Tübingen – oder umgekehrt. Früher war der Infrastrukturbetreiber (DB Netz, heute DB InfraGO) dafür verantwortlich, Anschlüsse zu sichern, beispielsweise indem Ausfahrsignale erst dann gestellt werden, wenn die Fahrgäste genug Zeit zum Umsteigen hatten. Allerdings ist es auch so, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen für Unpünktlichkeit pönalisiert werden, also Strafe für unpünktliche Züge bezahlen müssen. Wird die Verspätung infrastrukturseitig verursacht, werden die Strafzahlungen auf den Infrastrukturbetreiber abgewälzt. Die Folge: InfraGO stellt das Ausfahrsignal, wenn es betrieblich möglich ist, sodass keine eigenverschuldete Verspätung entsteht. Das Eisenbahnunternehmen fährt häufig gleich los, wenn es das Signal erhält. So gehen Anschlüsse verloren, da niemand für verspätete Züge Strafe bezahlen möchte. Ein Lösungsansatz kann sein, den Infrastrukturbetreiber zur Anschlusssicherung zu verpflichten und gleichzeitig die derzeitige Pönalisierungsregel anzupassen. So könnte beispielsweise die Verspätung von Fahrgästen (inklusive der Folgen verpasster Anschlüsse) und nicht die der Züge pönalisiert werden.
Fazit: Man merkt deutlich, dass das System Schiene trotz erheblicher Mittelerhöhungen seit dem Jahr 2024 noch immer unterfinanziert ist. Es gelingt nur unzureichend, Fehler (Rückbau an Infrastruktur) und Versäumnisse (Sanierung) zu korrigieren. Hinzu kommen hausgemachte Probleme wie die Anschlusssicherung.
Die Bahnstrecke Stuttgart – Tübingen hat mich schon sehr häufig beschäftigt (Auswahl):
