Special: Bahn zwischen Stuttgart und Tübingen
Die hohen Streckenbelastungen bei zu geringen Kapazitäten sind hauptursächlich für das hohe Maß an Verspätungen im Zugverkehr. Dies ergaben die Antworten auf eine aktuelle Anfrage von mir.
Im letzten wie im laufenden Jahr (jeweils die ersten sieben Monate) waren nur noch rund 68 Prozent der Züge pünktlich oder mit maximal 5:59 Minuten verspätet. Wäre der Maßstab strenger und Züge würden bereits bei mehr 3:59 Minuten als unpünktlich gelten, so wären nur noch minimal mehr als 60 Prozent der Züge pünktlich gewesen. Besser sieht es womöglich bei der fahrgastbezogenen Pünktlichkeit aus. Hierbei werden nicht pünktliche Züge gezählt, sondern es wird gemessen, wie viele Fahrgäste ihr Reiseziel pünktlich erreichen. Allerdings gilt hier eine sehr großzügige Toleranz. Bis 14:59 Minuten verspätete Ankunftszeiten werden statistisch als „pünktlich“ gewertet. Aus meiner Sicht sollte die fahrgastbezogene Pünktlichkeit der entscheidende Faktor werden und bei Dispositions-Entscheidungen maßgeblich sein. Schließlich sollten möglichst viele Reisende pünktlich (oder innerhalb einer akzeptablen Zeit) ans Ziel gebracht werden – und Züge sind nicht immer mit vergleichbar vielen Reisenden besetzt. Die fahrgastbezogene Pünktlichkeit berücksichtigt, ob Bahn-Anschlüsse erreicht oder verpasst wurden. So kann eine Verspätung von wenigen Minuten durch einen verpassten Anschluss und die Weiterreise mit einem späteren Zug schlussendlich eine große Verspätung für den Fahrgast auslösen und ein Zug mit einem Plus von 25 Minuten eine pünktliche Ankunft am Zielort ermöglichen, wenn der Anschlusszug noch erreicht wird. Dies stellt die fahrgastbezogene Pünktlichkeit dar und ist damit aussagekräftiger. Zudem können seitens des Netzbetreibers so disponiert werden, dass möglichst viele Reisende möglichst pünktlich in ihren jeweiligen Zielbahnhöfen ankommen.
Derzeit werden die Werte der fahrgastbezogenen Pünktlichkeit noch nicht monatlich, sondern erst im jährlichen Geschäftsbericht veröffentlicht. Die Deutsche Bahn erwägt derzeit aber, die Fahrgastpünktlichkeit regelmäßig offen zu legen.
Doch nun zu den Ursachen für die Verspätungen: 60,9 Prozent der Züge waren zuletzt (im Jahr 2023 bis einschließlich Juli) „belastungsbedingt, insbesondere wegen Zugfolgekonflikten“ verspätet. Vor acht Jahren war diese Ursache noch für 46,4 Prozent aller Verspätungen verantwortlich. Seither nahm dieser Faktor kontinuierlich zu. Auf Platz zwei der Ursachen liegt die „Infrastruktur“, die aber „nur“ 17,6 Prozent der Verspätungen zugrunde liegt (2015: 25,1 Prozent).
Gegenüber der Presse habe ich diese Entwicklungen wie folgt kommentiert:
„Die Infrastruktur wird immer alarmierender zur Hauptursache der Verspätungen. Insbesondere die Fähigkeit, entstandene Verspätungen zum Beispiel durch eine Türstörung wieder abzubauen und die Übertragung der Verspätung auf andere Züge zu vermeiden, gelingt nicht. Das ist das Resultat einer störanfälligen und vor allem überlasteten Infrastruktur. Die vielen betroffenen Fahrgäste leiden also unter einer Infrastruktur, die eine zunehmende Zahl an Zügen nicht mehr bewältigen kann. Deswegen ist der absehbare deutliche Investitionshochlauf der Ampel-Koalition wichtig, um Verspätungen zu vermeiden. Klar ist aber leider auch: Angebotssteigerungen sind aktuell nur noch begrenzt möglich. Gerade im Nah- und Personenverkehr können bessere Angebote erst dann kommen, wenn zusätzliche Infrastruktur fertiggestellt wird. Blockaden gegen zusätzliche Infrastruktur führt daher nur zu noch mehr unpünktlichen Zügen und verhindern bessere Angebote. Es liegt im Interesse der Fahrgäste, dass nicht nur mehr saniert und ausgebaut, sondern auch neu gebaut wird. Mehr Kapazitäten bringen die ersehnte Pünktlichkeit.“
Baustellenmanagement und Struktur-Reform bei der DB
Als Bahnpolitiker und Aufsichtsratsmitglied bei DB Netz setze ich mich für die Erhöhung der Kapazität sowie für die bessere Koordination von Baumaßnahmen ein. Wir müssen dahin kommen, dass nicht mehr für jedes Bauvorhaben eine Sperrung veranlasst wird, sondern bei jeder Sperrung gleich alle notwendigen und absehbar notwendigen Maßnahmen mit umgesetzt werden. So steigt die Verfügbarkeit der ohnehin knapp bemessenen Schienen-Infrastruktur.
Zum Januar 2024 setzen wir als Ampelkoalition die größte Reform seit 30 Jahren um: Wir legen die beiden Infrastruktursparten „Netz“ und „Station & Service“ unter dem Dach der Deutschen Bahn zusammen und richten die neue Infrastrukturgesellschaft am Gemeinwohl aus. Die Autobahn GmbH muss ja auch keine Gewinne erwirtschaften. Bei den Schienenwegen und Bahnhöfen ist das jedoch bisher anders. Dieser Schritt, den wir gehen, sollte einige Verbesserungen unter anderem auch beim bereits bemängelten Baustellenmanagement bringen. Weiterer Vorteil: Die Reform stößt keine jahrelangen, heftigen Debatten aus und lässt sich in einer Legislaturperiode umsetzen.
Exkurs: Verspätungen zwischen Stuttgart und Tübingen
Auf der Strecke zwischen Stuttgart und Tübingen kommt es seit längerem zu einem hohen Maß an Verspätungen und Zugausfällen. Die Gründe dafür treffen vielfach auch auf andere Teile des Netzes zu: Es fahren mehr Züge als bisher und auch die Anzahl der Reisenden nahm zu, die Infrastruktur wuchs aber nicht mit. Hinzu kommen Baustellen und Personalmangel in den Zügen. Letzteres könnte sich auf besagter Strecke verschärfen, da Personal wegen der anstehenden Neuvergabe der Leistung abwandert.
Auf unserer Strecke kommt außerdem hinzu: Der ICE fährt interimsweise auf dem ohnehin sehr hoch belasteten Abschnitt zwischen Plochingen und Wendlingen und muss dann auf der Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Merklingen einen auf acht Kilometer nur eingleisig nutzbaren Abschnitt durch den Albvorlandtunnel befahren. Dieser eingleisig zu befahrende Abschnitt ist ohnehin relativ dicht ausgelastet. Wenn es hier zu Verspätungen kommt, verspätet sich der dann zum Warten verdammte Zug aus der Gegenrichtung unter Umständen ziemlich stark. Im Übrigen ist von den durch verspäteten Fernverkehr entstehenden Verspätungen auch der IRE200 zwischen Wendlingen und Ulm als Nahverkehrszug betroffen.
Weiterführende Informationen über die Infrastruktur und meine Aktivitäten für die Bahnstrecke Stuttgart – Tübingen: