Mit dem öffentlichen Nahverkehr (ÖV) hoch hinaus

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16.03.2021

Fachgespräch „Seilbahnen als Teil des ÖV“

Gemein­sam mit mei­ner Kol­le­gin aus dem Euro­pa­par­la­ment, Anna Depar­nay-Gru­nen­berg, lud ich zum Fach­ge­spräch über Seil­bah­nen als Teil des öffent­li­chen Ver­kehrs (ÖV). In vie­len und in immer mehr Län­dern die­ser Erde wer­den urba­ne Seil­bah­nen gebaut, um die Mobi­li­tät der Men­schen zu ver­bes­sern und Umwelt­zie­le zu errei­chen. In Euro­pa und ganz beson­ders in Deutsch­land tut man sich jedoch schwer mit dem Sys­tem.

Es ist schwer, Men­schen von etwas zu über­zeu­gen, für das es wenig bis über­haupt kei­ne geeig­ne­ten Refe­renz­ob­jek­te in unse­rem Kul­tur­kreis gibt. Dabei hat die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung rie­si­ge Sprün­ge gemacht. Das zeigt sich schon an der Vari­an­ten­viel­falt: Es gibt Umlauf‑, Pendel‑, fix­ge­klemm­te und kup­pel­ba­re Seil­bah­nen sowie Seil­schwe­be- und Stand­seil­bah­nen. Letz­te­re stel­len schie­nen­ge­bun­de­ne Seil­för­der­an­la­gen dar, wie wir sie aus Stutt­gart bereits ken­nen. Befür­wor­ter, die sich viel­fach unter Nah­ver­kehrs­pla­nern und natür­lich den Her­stel­lern fin­den, zäh­len die Vor­tei­le immer wie­der auf: Kür­ze­re Bau­zei­ten, gerin­ge Flä­chen­in­an­spruch­nah­me, gerin­ge­re Bau- und Betriebs­kos­ten als für Stra­ßen- und U‑Bahnen, Lärm­ar­mut und eini­ge Punk­te mehr. Die Geg­ner kon­tern mit der Ver­let­zung von Pri­vat­sphä­re, weil die Fahr­gäs­te von oben auf Pri­vat­grund­stü­cke bli­cken kön­nen. Auch das Stadt­bild wird immer wie­der als Argu­ment dage­gen ange­führt. Die Befür­wor­ter kom­men dann mit dem posi­ti­ven Image­ge­winn und Attrak­tio­nen für den Tou­ris­mus. Sicher­lich ist allem etwas dran. Letzt­lich muss immer vor Ort ent­schie­den wer­den, ob eine Seil­bahn ein geeig­ne­tes Ver­kehrs­mit­tel dar­stellt. Dass urba­ne, in den öffent­li­chen Nah­ver­kehr ein­ge­bun­de­ne Seil­bahn-Sys­te­me in Deutsch­land bis­her immer eine Absa­ge erhal­ten hat­ten, wird den Chan­cen, die sich dadurch erschlie­ßen kön­nen, sicher­lich nicht gerecht. Ins­be­son­de­re dann, wenn Hin­der­nis­se wie Ber­ge oder Flüs­se zu über­win­den sind oder auch, wenn Platz­ver­hält­nis­se sehr beengt sind und publi­kums­in­ten­si­ve Ort mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den sol­len, bie­ten sich Seil­bah­nen im Grund­satz an. Nach­fol­gend ein Aus­zug des­sen, was unse­re bei­den Refe­ren­ten vor­ge­tra­gen haben.

Sebas­ti­an Beck, Exper­te für Seil­bah­nen und Mobi­li­tät (Drees & Som­mer SE, Stutt­gart)

Herr Beck schil­der­te das Span­nungs­feld, bestehend aus Umwelt/Klima, Stau und tech­ni­scher Inno­va­ti­on, in dem sich Mobi­li­tät befin­det. Sei­ner Über­sicht nach befin­den sich gegen­wär­tig über 100 urba­ne Seil­bahn-Ideen in Deutsch­land in der Dis­kus­si­on. Die Seil­bahn kön­ne im Ver­gleich zu schie­nen­ge­bun­de­nen Ver­kehrs­mit­teln als preis­wer­tes (Stan­dard der Sta­tio­nen aus­schlag­ge­bend), bau­lich schnell rea­li­sier­ba­res und zuver­läs­si­ges Teil­sys­tem im ÖPNV die­nen. Durch das “Ste­tig­för­de­rer-Prin­zip” der Umlauf­bahn sei prak­tisch immer eine Seil­bahn­ka­bi­ne prä­sent, was einen fes­ten Fahr­plan obso­let mache. Seil­bah­nen könn­ten durch Erschlie­ßung der Ebe­ne +1 zu einer nach­hal­ti­ge­ren und enkel­fä­hi­ge­ren Stadt­ent­wick­lung bei­tra­gen. Außer­dem sei­en Seil­bah­nen nach dem Gemein­de­ver­kehrs­fi­nan­zie­rungs­ge­setz (GVFG) seit Früh­jahr 2020 durch den Bund för­der­fä­hig. (Anmer­kung M. G.: Der För­der­satz liegt bei 75%).

Um Kon­flik­te best­mög­lich zu ver­mei­den, sol­le das Über­fah­ren von bewohn­ten Grund­stü­cken weit­ge­hend ver­mie­den wer­den. Ein Nach­teil von Seil­bah­nen sei, dass die­se bei Gewit­ter ein­ge­stellt wer­den müss­ten und sich eini­ge Fahr­gäs­te bei stär­ke­rem Wind in den Kabi­nen nicht sicher füh­len wür­den.

Ste­fan Trit­sch­ler vom VWI (Ver­kehrs­wis­sen­schaft­li­ches Insti­tut Stutt­gart GmbH)

In Abhän­gig­keit von der Zahl der Sei­le sei­en Kabi­nen­grö­ßen für 8 bis 35 Per­so­nen üblich. Bei einer Beför­de­rungs­ge­schwin­dig­keit von 20 bis 30 km/h könn­ten damit in der Stun­de bis zu 4.000 Per­so­nen pro Rich­tung trans­por­tiert wer­den. Das ent­spre­che ca. 100 Gelenk­bus­sen oder 16 Stadt­bah­nen. Bei moder­nen Seil­bahn-Sys­te­men könn­ten die Kabi­nen an den Sta­tio­nen voll­stän­dig zum Stand gebracht wer­den. Dadurch sei ein bar­rie­re­frei­er Ein­stieg mög­lich. Grö­ße­re Kabi­nen wür­den auch die Mit­nah­me von Kin­der­wa­gen oder Fahr­rä­dern erlau­ben. Ent­schei­dend sei­en die Ein­bin­dung in die Tarif­land­schaft des ÖPNV und eine Inte­gra­ti­on in die vor­han­de­nen Ver­kehrs­net­ze. Um För­der­mit­tel zu erhal­ten, müss­ten urba­ne Seil­bah­nen – wie ande­re ÖPNV-Pro­jek­te auch – nach­wei­sen, dass sie volks­wirt­schaft­lich vor­teil­haft sind. Der Nach­weis der Vor­teil­haf­tig­keit erfol­ge mit­tels des Ver­fah­rens der Stan­dar­di­sier­ten Bewer­tung. In die­ser wür­den betriebs- und volks­wirt­schaft­li­che Nut­zen und Kos­ten einer Maß­nah­me gegen­über­ge­stellt. Die­ses Ver­fah­ren wer­de der­zeit über­ar­bei­tet.

Den Impuls­re­fe­ra­ten schloss sich eine gan­ze Rei­he von Fra­gen aus dem Publi­kum an. Es waren übri­gens über 100 Per­so­nen aus der gan­zen Repu­blik, die an unse­rer Ver­an­stal­tung teil­ge­nom­men hat­ten.

Ich hat­te mich bereits in frü­he­ren Jah­ren mit dem Seil­bahn-The­ma beschäf­tigt. Hier im Inter­view mit dem Her­stel­ler Dop­pel­mayr: https://www.matthias-gastel.de/seilbahn-ein-sehr-umweltfreundliches-verlaessliches-und-attraktives-transportsystem/

In Stutt­gart hat­te ich ein Fach­ge­spräch orga­ni­siert: https://www.matthias-gastel.de/fachgespraech-wie-seilbahnen-den-oeffentlichen-verkehr-sinnvoll-ergaenzen-koennen/