Fachgespräch „Seilbahnen als Teil des ÖV“
Gemeinsam mit meiner Kollegin aus dem Europaparlament, Anna Deparnay-Grunenberg, lud ich zum Fachgespräch über Seilbahnen als Teil des öffentlichen Verkehrs (ÖV). In vielen und in immer mehr Ländern dieser Erde werden urbane Seilbahnen gebaut, um die Mobilität der Menschen zu verbessern und Umweltziele zu erreichen. In Europa und ganz besonders in Deutschland tut man sich jedoch schwer mit dem System.
Es ist schwer, Menschen von etwas zu überzeugen, für das es wenig bis überhaupt keine geeigneten Referenzobjekte in unserem Kulturkreis gibt. Dabei hat die technologische Entwicklung riesige Sprünge gemacht. Das zeigt sich schon an der Variantenvielfalt: Es gibt Umlauf‑, Pendel‑, fixgeklemmte und kuppelbare Seilbahnen sowie Seilschwebe- und Standseilbahnen. Letztere stellen schienengebundene Seilförderanlagen dar, wie wir sie aus Stuttgart bereits kennen. Befürworter, die sich vielfach unter Nahverkehrsplanern und natürlich den Herstellern finden, zählen die Vorteile immer wieder auf: Kürzere Bauzeiten, geringe Flächeninanspruchnahme, geringere Bau- und Betriebskosten als für Straßen- und U‑Bahnen, Lärmarmut und einige Punkte mehr. Die Gegner kontern mit der Verletzung von Privatsphäre, weil die Fahrgäste von oben auf Privatgrundstücke blicken können. Auch das Stadtbild wird immer wieder als Argument dagegen angeführt. Die Befürworter kommen dann mit dem positiven Imagegewinn und Attraktionen für den Tourismus. Sicherlich ist allem etwas dran. Letztlich muss immer vor Ort entschieden werden, ob eine Seilbahn ein geeignetes Verkehrsmittel darstellt. Dass urbane, in den öffentlichen Nahverkehr eingebundene Seilbahn-Systeme in Deutschland bisher immer eine Absage erhalten hatten, wird den Chancen, die sich dadurch erschließen können, sicherlich nicht gerecht. Insbesondere dann, wenn Hindernisse wie Berge oder Flüsse zu überwinden sind oder auch, wenn Platzverhältnisse sehr beengt sind und publikumsintensive Ort miteinander verbunden werden sollen, bieten sich Seilbahnen im Grundsatz an. Nachfolgend ein Auszug dessen, was unsere beiden Referenten vorgetragen haben.
Sebastian Beck, Experte für Seilbahnen und Mobilität (Drees & Sommer SE, Stuttgart)
Herr Beck schilderte das Spannungsfeld, bestehend aus Umwelt/Klima, Stau und technischer Innovation, in dem sich Mobilität befindet. Seiner Übersicht nach befinden sich gegenwärtig über 100 urbane Seilbahn-Ideen in Deutschland in der Diskussion. Die Seilbahn könne im Vergleich zu schienengebundenen Verkehrsmitteln als preiswertes (Standard der Stationen ausschlaggebend), baulich schnell realisierbares und zuverlässiges Teilsystem im ÖPNV dienen. Durch das “Stetigförderer-Prinzip” der Umlaufbahn sei praktisch immer eine Seilbahnkabine präsent, was einen festen Fahrplan obsolet mache. Seilbahnen könnten durch Erschließung der Ebene +1 zu einer nachhaltigeren und enkelfähigeren Stadtentwicklung beitragen. Außerdem seien Seilbahnen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) seit Frühjahr 2020 durch den Bund förderfähig. (Anmerkung M. G.: Der Fördersatz liegt bei 75%).
Um Konflikte bestmöglich zu vermeiden, solle das Überfahren von bewohnten Grundstücken weitgehend vermieden werden. Ein Nachteil von Seilbahnen sei, dass diese bei Gewitter eingestellt werden müssten und sich einige Fahrgäste bei stärkerem Wind in den Kabinen nicht sicher fühlen würden.
Stefan Tritschler vom VWI (Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart GmbH)
In Abhängigkeit von der Zahl der Seile seien Kabinengrößen für 8 bis 35 Personen üblich. Bei einer Beförderungsgeschwindigkeit von 20 bis 30 km/h könnten damit in der Stunde bis zu 4.000 Personen pro Richtung transportiert werden. Das entspreche ca. 100 Gelenkbussen oder 16 Stadtbahnen. Bei modernen Seilbahn-Systemen könnten die Kabinen an den Stationen vollständig zum Stand gebracht werden. Dadurch sei ein barrierefreier Einstieg möglich. Größere Kabinen würden auch die Mitnahme von Kinderwagen oder Fahrrädern erlauben. Entscheidend seien die Einbindung in die Tariflandschaft des ÖPNV und eine Integration in die vorhandenen Verkehrsnetze. Um Fördermittel zu erhalten, müssten urbane Seilbahnen – wie andere ÖPNV-Projekte auch – nachweisen, dass sie volkswirtschaftlich vorteilhaft sind. Der Nachweis der Vorteilhaftigkeit erfolge mittels des Verfahrens der Standardisierten Bewertung. In dieser würden betriebs- und volkswirtschaftliche Nutzen und Kosten einer Maßnahme gegenübergestellt. Dieses Verfahren werde derzeit überarbeitet.
Den Impulsreferaten schloss sich eine ganze Reihe von Fragen aus dem Publikum an. Es waren übrigens über 100 Personen aus der ganzen Republik, die an unserer Veranstaltung teilgenommen hatten.
Ich hatte mich bereits in früheren Jahren mit dem Seilbahn-Thema beschäftigt. Hier im Interview mit dem Hersteller Doppelmayr: https://www.matthias-gastel.de/seilbahn-ein-sehr-umweltfreundliches-verlaessliches-und-attraktives-transportsystem/
In Stuttgart hatte ich ein Fachgespräch organisiert: https://www.matthias-gastel.de/fachgespraech-wie-seilbahnen-den-oeffentlichen-verkehr-sinnvoll-ergaenzen-koennen/