19.02.2023
Gespräche mit Fachleuten in Bern
Bei einer verkehrspolitischen Reise durch die Schweiz traf ich mich mit mehreren Abgeordneten des Nationalrats und den Chefs der Hupac sowie des Bundesamts für Verkehr. Gilt die Schweiz zurecht als Bahn-Musterland? Dies war eine der Fragen, denen ich nachging.
An den Gesprächsrunden waren beteiligt: Michail Stahlhut (Hupac, Betreibergesellschaft von Güter-Terminals), Dr. Peter Füglistaler (Direktor des Bundesamtes für Verkehr), Michael Töngi und Marionna Schlatter (beide Mitglieder des Nationalrats, Grüne) sowie Jon Pult (Mitglied des Nationalrats, Vorsitzender der Verkehrskommission, Sozialdemokrat). Ich gliedere diesen Beitrag nach verschiedenen Themen.
Die Schweizer/innen und ihre Bahn
„Wir lieben unsere Bahn“. Wie gerne würde ich das auch mal in Deutschland hören. Eine Zahl dazu: Die Schweizerinnen und Schweizer legen pro Jahr durchschnittlich 2.500 Kilometer mit der Bahn zurück. In Deutschland ist es nur die halbe Strecke.
Finanzierung Schiene
Die Infrastruktur wird überjährig aus einem Fonds (4,5 bis 5 Mrd. Franken/Euro pro Jahr) finanziert. Den größten Einnahmeblock stellen die Bundesmittel dar. Es folgen die Mehrwert- und Mineralölsteuer, die Lkw-Maut sowie die Kantonsbeiträgen. Über die Aus- und Neubauprojekte entscheidet das Parlament. In der Schweiz wird eine sehr hohe Lkw-Maut für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen erhoben. Diese ist fahrleistungs- und emissionsabhängig. Zwei Drittel der Einnahmen fließen in die Bahninfrastruktur, ein Drittel geht an die Kantone. Die hohe Maut hat unter anderem dazu geführt, dass Güterverkehre verlagert werden (auf die Schiene, teilweise aber auch auf die preiswerteren Routen durch Österreich). Zudem wurde die Auslastung der Lastwagen erhöht (weniger Leerfahrten). E‑Lkw sind derzeit komplett von der Maut befreit, was kritisiert wurde, da diese die Infrastruktur ebenfalls (ab)nutzen.
Eine Fondslösung wird von der „Beschleunigungskommission Schiene“, eingesetzt durch die deutsche Bundesregierung, auch für Deutschland gefordert.
Wettbewerb auf der Schiene
Der Markt ist im Güterverkehr geöffnet und es herrscht Wettbewerb. Im Personenverkehr gibt es ausschließlich die SBB oder Kooperationen mit den SBB. Es läuft aber eine Diskussion darüber, ob auch dieses Segment für den Wettbewerb geöffnet werden sollte. Bei meinen Gesprächspartner/innen verspürte ich eine Offenheit dafür.
Fernverkehr
In der Schweiz wird maximal 200 Stundenkilometer gefahren. Höhere Geschwindigkeiten würden zusätzliche Verkehre induzieren und seien angesichts der Distanzen in der Schweiz auch nicht nötig. Beschleunigung der Bahn erfolge gezielt dort, wo diese nicht wettbewerbsfähig zur Straße sei.
Alpenquerende Güterverkehre
Man heiße Güterverkehr in der Schweiz willkommen – wenn er auf der Schiene rolle. Für die Verlagerung von noch mehr Gütern auf die Schiene komme es wesentlich auch auf den Infrastruktur-Ausbau in Deutschland an. Die Rheintal- und die Gäubahn kamen immer wieder als Nadelöhre zur Sprache. Die Schweiz führe inzwischen auch mit Frankreich Gespräche darüber, wann und wie die linksrheinische Bahnstrecke für den Güterverkehr ertüchtigt werden könne. Hierbei gehe es vor allem um die Elektrifizierung.
Die Anzahl der Lkw-Fahrten über die Schweizer Alpen sank von 1,4 auf unter eine Million pro Jahr. Die Vorgabe aus einer Volksabstimmung (maximal 650.000) wurde damit bisher nicht erreicht.
Trassenvergabe
So, wie das politische System in der Schweiz auf Konsens setzt, werden auch die Trassen vergeben. Die Trassenvergabestelle sind nicht die SBB als Netzbetreiberin. Dies macht eine unabhängige Stelle. Es wirken die Bahnunternehmen mit, bei Konflikten nach Lösungen zu suchen.
Verkehrswende auch in der Schweiz strittig
Hier beziehe ich auch ein Gespräch ein, das ich während meiner Schweiz-Tour mit grünen Politiker*innen aus Stadt und Kanton Zürich geführt hatte: Trotz des sehr guten Angebots mit Bahn und Bus ließ sich der Modal Split (zuletzt) kaum stärker hin zum Umweltverbund verschieben. Der Ausbau der Bus- und Bahn-Angebote führe eben nicht automatisch zu Verhaltensänderungen. Verhaltensänderungen seien eine riesige Herausforderung. Themen wie Tempo 30, Straßenbau oder Reduzierung von (öffentlichen) Stellplätzen führten zu emotionalen Debatten, wie wir sie auch aus Deutschland kennen. In Zürich hatten sich allerdings 56 Prozent der Bürger*innen für einen Richtplan zugunsten besserer Bedingungen für den Radverkehr und für mehr Grünflächen ausgesprochen – das bedeutet auch die Umwidmung von Straßenflächen.
An dieser Stelle verweise ich auf einen Beitrag über eine frühere verkehrspolitische Exkursion nach Zürich: https://www.matthias-gastel.de/zuerich-modell-fuer-staedtische-verkehrswende/
Abschließend löse ich noch die eingangs gestellte Frage auf: Gilt die Schweiz zurecht als Bahn-Musterland? Im Ausland werde dies angenommen, so war zu hören. In der Schweiz würde sich das Bild ausdifferenzieren und viele würden auf Nachfrage wohl sagen: Sie ist gut, war aber auch schon besser. Die Pünktlichkeit habe nachgelassen.
Highlight meiner Schweiz-Reise war die Mitfahrt in der Lok eines Güterzuges. Der Bericht hierüber und viele weitere Informationen über die Bahnpolitik und insbesondere den Güterverkehr in der Schweiz finden sich in diesem Beitrag: https://www.matthias-gastel.de/in-der-gueter-lok-durch-die-schweiz/
In Norditalien, unweit von Mailand, informierte ich mich in einem der größten Terminals für den Kombinierten Verkehr in Europa darüber, wie Güter vom Lkw auf die Bahn verladen werden. Hier mein kurzer Beitrag darüber: https://www.matthias-gastel.de/italien-besuch-in-grossem-kv-terminal/