12.08.2015
Die (Un-)Pünktlichkeit der S‑Bahnen in der Region Stuttgart hält an. Entsprechend negativ bleibt die Berichterstattung über ein Verkehrsmittel, das dringend positive Botschaften braucht, wenn es deutlich Verkehrsanteile vom Auto gewinnen möchte. Die Augen vor den Problemen und Herausforderungen zu verschließen wäre jedoch der falsche Weg. Dieser Beitrag dient dazu, einen Blick auf die aktuelle Situation zu legen und aufzuzeigen, wie gehandelt werden kann und muss. Als Grundlage hierfür dient ein lesenswerter Beitrag in der „Eisenbahn-Revue International“, Ausgabe 8–9/2015. Dabei lasse ich immer wieder eigene Sichtweisen, Ideen sowie Hinweise auf meine politischen Aktivitäten einfließen.
Situation der Pünktlichkeit
Um die Pünktlichkeit stand es im Jahr 2014 so schlecht wie nie zuvor. Die Drei-Minuten-Pünktlichkeit sank auf 85,8% (2012 87% und 2013 86,2%). In der Hauptverkehrszeit sank dieser Wert gar auf 75,2%. Dies bedeutet, dass jeder vierte Zug verspätet war. Auf den Linien 1, 2 und 3 sah es mit der Pünktlichkeit besonders schlecht aus. In 2015 hat sich die Lage bisher etwas verbessert.
Kommunikation
Unpünktliche Züge sind schon ärgerlich genug. Wenn dann aber auch noch eine unzureichende Kommunikation hinzukommt, vergrößert sich der Ärger der Fahrgäste völlig zu Recht. Die Bewertung des Informationsmanagements fiel dementsprechend schlechter aus: Es fiel – in Schulnoten ausgedrückt – von 2,9 auf 3,1.
Ergebnisse der S‑Bahn-Gipfel
Parallel zu den eher politischen S‑Bahn-Gipfeln wurde 2014 eine Facharbeitsgruppe eingerichtet, die nach Lösungen für die Probleme sucht. Vorgeschlagen wurden unter anderem Erhöhungen der zulässigen Geschwindigkeiten auf einzelnen Streckenabschnitten, aber auch bauliche Maßnahmen wie ein drittes Gleis bei Schorndorf. Umgesetzt wurden bislang nur Vorschläge, die keine zusätzlichen Kosten verursachen. Dazu zählt die Anpassung von Fahrplänen.
Zustand der Infrastruktur und Auswirkungen auf die Pünktlichkeit
Viele Verspätungen werden nicht durch Pannen an den Zügen, Luftballons in den Oberleitungen oder Personen im Gleis ausgelöst. Vielfach liegt es an der Infrastruktur, die sich nicht immer im gewünschten Zustand befindet. Eine Auswertung des VVS-Störungsmelders durch mein Büro ergab folgendes Bild für das Jahr 2014: An mehr als 100 Tagen kam es zu S‑Bahn-Ausfällen. An rund 60 Tagen davon lassen sich diese Ausfälle eindeutig Problemen bei der Infrastruktur zuordnen. Wir Grünen im Bundestag richteten eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, in der wir beispielsweise wissen wollten, in welchen Intervallen Gleise, Weichen und Signalanlagen in den deutschen S‑Bahn-Netzen inspiziert werden und wann letztmalig derartige Untersuchungen in den jeweiligen Netzen durchgeführt wurden. Auch nach der Anzahl von Störungen und deren Entwicklungen in den letzten Jahren wurde gefragt. Schließlich wollten wir wissen, wie die Pünktlichkeitswerte der S‑Bahnen in Deutschland sich im Vergleich entwickelt haben. Leider mussten wir feststellen, dass sich die Bundesregierung nicht für die Infrastruktur der S‑Bahnen in Deutschland interessiert. Die meisten Fragen blieben unbeantwortet, obwohl sich die Infrastruktur im Eigentum des Staatsunternehmens Deutsche Bahn befindet. Hier gibt es nähere Informationen über unsere Bundestagsinitiative.
Eine Möglichkeit, bessere Pünktlichkeitswerte zu erreichen, kann die Umstellung auf die Zugsicherungstechnik ETCS sein. Dadurch können kürzere Zugabstände möglich werden, wodurch sich die Kapazität des Netzes steigern lässt. Dazu liefert folgender Beitrag nähere Hintergründe.
Die neuen Züge und deren Auswirkungen auf die Pünktlichkeit
Inzwischen wurden alle 87 Züge der Baureihe ET 430 vom Hersteller Bombardier ausgeliefert. Kaum aufs Gleis gesetzt, fielen sie wegen ihrer funktionsunfähigen Schiebetritte auf. Diese waren ein Sonderwunsch des Aufgabenträgers, des Verband Region Stuttgart. Bei einem Gespräch im Rahmen einer Betriebsbesichtigung bei Bombardier erklärte mir die Geschäftsleitung, dass es einen solchen Wunsch für einen S‑Bahn-Zug noch nie zuvor gegeben habe und der Schiebetritt für diesen Zug eigens entwickelt werden musste. Die Tritte sollen dazu dienen, den Spalt zwischen Zug und Bahnsteigkante zu überbrücken. An sich eine gute Sache. Denn der Spalt ist nicht für alle Fahrgäste problemlos zu überwinden und immer wieder geraten Fahrgäste (meist Kinder) mit einem Bein in den Spalt. Problem Nummer 1: Die Schiebetritte brauchen Zeit zum Aus- und Einfahren. Dies geht aber nur bei geschlossener Tür. Dadurch geht kostbare Zeit verloren. Rein rechnerisch verlängert sich dadurch die Fahrzeit der Linie S 1 auf den gesamten Streckenverlauf um über drei Minuten! Bei der S 2 sind es knapp drei Minuten. Eine neue Software, mit der die Vorgänge beschleunigt werden sollen, befindet sich in der Entwicklung. Problem Nummer zwei: Die Schiebetritte führen dazu, dass sich die Fußbodenhöhe von 96 auf etwa 103 cm erhöht. Dadurch entsteht ein Höhenunterschied zwischen Zug und Bahnsteig, der von Menschen im Rollstuhl nicht überwunden werden kann. Mit dem Versuch, ein Problem zu lösen, wurde also ein neues geschaffen. Menschen im Rollstuhl sind auf die Lokführer angewiesen, die aus ihrem Führerstand aussteigen und eine Rampe aufbauen müssen – erst, um den Mensch im Rollstuhl in den Zug gelangen zu lassen und später, um ihn wieder heraus zu lassen. Dies ist nicht nur das Gegenteil von Inklusion („eigenständige Mobilität“), sondern kostet rund zwei Minuten Zeit. Traurig ist die Tatsache, dass die neuen Züge zwar schwerer als ihre Vorgängermodelle sind, jedoch nicht über mehr Power verfügen. Aber insbesondere im Nahverkehr mit den vielen Halten und notwendigen Anfahrten kommt es auf die Beschleunigungswerte an. Zwei positive Aspekte im Zusammenhang mit den neuen Zügen müssen aber auch festgehalten werden: Sie bieten einen deutlich höheren Fahrgastkomfort als Vorgängermodelle. So sind sie klimatisiert und bieten auf Monitoren Fahrgastinformationen über die nächsten Haltestellen und Umsteigemöglichkeiten (wenngleich hier noch erhebliche Verbesserungen notwendig sind). Zweitens stehen in der Region etwas mehr S‑Bahn-Züge zur Verfügung. Dadurch können mehr Züge als Langzüge fahren und in Filderstadt kann wieder ein „Reservezug“ stehen, was sich stabilisierend auf den Fahrplan auswirkt.
Situation am Hauptbahnhof
Mit dem Beginn der Baumaßnahmen für Stuttgart 21 haben sich die Wege für die FußgängerInnen im Hauptbahnhof erheblich verlängert. Menschen mit Mobilitätseinschränkung sind davon in besonderer Weise betroffen. Zumal es zwischen oberirdischem Kopfbahnhof und unterirdischem S‑Bahnhof nur noch einen einzigen Aufzug gibt. Eine fatale und erbärmliche Fehlplanung! Dieser eine Aufzug wird sehr stark beansprucht und ist bereits mehrfach ausgefallen. Defekte Aufzüge und Rolltreppen sind in Stuttgart nicht nur am Hauptbahnhof, sondern auch an anderen S‑Bahnhöfen ein Dauerärgernis. Daher habe ich bereits im Dezember 2014 einen offenen Brief an die DB gerichtet. An dieser Stelle ist auf ein grundlegendes Problem im Zusammenhang mit Bahnhöfen hinzuweisen, die vom Nah- und Regionalverkehr genutzt werden: Die Aufgabenträger (im konkreten Fall der Verband Region Stuttgart) bestellen die Zugleistungen und zahlen letztlich auch die Stationsgebühren für jede Nutzung der Haltestellen. Sie schließen aber keinen Vertrag mit DB Station & Service, die die Bahnhöfe betreiben, sondern mit dem Eisenbahnverkehrsunternehmen (z. B. DB Regio). Sie zahlen also, haben aber keinen direkten Einfluss auf die Leistungen, die sie dafür erhalten. Die Leistungen, die von DB Station & Service erbracht werden müssen, sind noch nicht einmal definiert (nähere Informationen) !
Fazit
Bislang ergriffene Maßnahmen haben zu einer gewissen „Stabilisierung der Unpünktlichkeit“ geführt. Dazu tragen die Abfertigungshelfer am Hauptbahnhof bei, die für beschleunigte Einsteigevorgänge sorgen und damit eine zügigere Abfahrt der Züge. Außerdem wurden Fahrpläne angepasst – was aber nicht die Lösung sein kann! Wenn sich grundlegende Verbesserungen einstellen sollen, dann muss die Infrastruktur verbessert werden. Dazu gehören ETCS (siehe oben) und einzelne Streckenausbauten, aber auch eine bessere Wartung der Anlagen und Erneuerungen störanfälliger Anlagenteile. Dies alles wird Geld kosten. Wenn aber wirklich gewollt ist, dass die Bahn dem Auto Verkehrsanteile abjagt, dann sind diese Investitionen unverzichtbar und gut angelegt.